Einige Gedanken zum Gedenken in Dresden

Auch wir als Kritische Geographie Dresden wollen uns zum Gedenken in Dresden äußern. Geographie beschäftigt sich damit wie sich gesellschaftliche Prozesse räumlich niederschlagen, insbesondere Fragen städtischer Entwicklung spielen dabei eine Rolle. Aus dieser Perspektive wollen wir hier eine Einschätzung zum Gedenken in Dresden geben.

Wer bei Google nach der Frauenkirche in Dresden sucht, wird schon in der Standortangabe darüber informiert, dass es sich hier um eine „wiederaufgebaute evangelische Kirche“ handeln würde. Wenn man tatsächlich über den Neumarkt geht, trifft der Blick eine wiederaufgebaute Kirche, die aus alten und neuen Steinen zusammengesetzt wurde. Auch das ist Teil einer Erinnerung an die Zerstörung Dresdens. Die anderen Gebäude auf dem Neumarkt sind ebenfalls nach historischen Vorbildern wiederaufgebaut worden. Mit diesem Wiederaufbau verschwindet jedoch noch etwas Anderes und etwas, was wesentlich wichtiger ist, als kaputte Gebäude. Das ist die Frage nach dem Warum.

An das Warum findet sich auf dem Neumarkt keine Erinnerung. Man findet dort keinen Hinweis darauf, dass die Bombardierung Dresdens eine Konsequenz der deutschen Angriffe auf die europäischen Nachbarländer war. Man findet dort keinen Hinweis darauf, dass die Bombardierung die Konsequenz des Versuches war, der ganzen Welt ein faschistisches Regime aufzuzwingen. Diese Erinnerung ist mit dem Wiederaufbau des Neumarktes nach historischem Vorbild im wahrsten Sinne des Wortes verbaut worden. Von den dunkelbraunen Zeiten findet sich nichts wieder in den pastellfarbenen Fassaden am Dresdner Neumarkt.

Die wiederaufgebaute Frauenkirche und der restaurierte Neumarkt sind zu zentralen Punkten der Inszenierung Dresdens geworden. Sie stellen ein Symbol im städtischen Wettbewerb um Besucher*innen, Kapital und Arbeitskräfte dar.

Wo aber gibt es eine Erinnerung an die Menschen, die am 13. Februar 1945 auf einem Todesmarsch nach Bergen-Belsen durch Dresden kamen? Diese Menschen befanden sich ebenfalls in der Stadt, sie erlebten dieselben schlimmen Stunden, fanden aber keinen Schutz hier. Wo wird ein Gedenken an diese Menschen sichtbar? Zumindest im Zentrum der Stadt, auf dem Neumarkt, sucht man danach vergeblich.

Der Umbau des Neumarktes und die damit verbundene Rückbesinnung auf eine konservative Bautradition steht symbolisch für diese bewusst lückenhafte Erinnerung. Eine quasi bereinigte Geschichtsschreibung hat sich in die gebaute Umwelt der Stadt eingeschrieben.
Statt die Shoah und den Angriffskrieg auch nur irgendwie architektonisch zu fassen, hat man versucht, die Zeit zurück zu drehen. Deshalb ist es auch wenig verwunderlich dass die Dresdner Altstadt zu einer Kulisse für eine Täter-Opfer-Umkehr wurde, wie wir sie in den letzten Jahren immer wieder beobachten konnten.

Exemplarisch steht dafür auch das Denkmal auf dem Heidefriedhof, auf dem Dresden mit Coventry und Auschwitz gleichgesetzt wird. Bei diesem Vergleich muss man sich doch fragen:

  • In was für einer Gesellschaft ist die Bombardierung einer Stadt, in der sich die Nationalsozialisten großer Zustimmung erfreuten, eigentlich gleichzusetzen mit dem organisierten Massenmord an 6 Millionen Juden* und Jüdinnen* durch eben dieses Regime?
  • In welcher Gesellschaft kann man zwar eine Erinnerung an die Shoah fordern, aber den Wunsch nach Rache und das Ablehnen von Vergebung der Nachfahr*innen und der Überlebenden nicht akzeptieren?
  • In welcher Gesellschaft werden nicht zuletzt aus kapitalistischen Überlegungen Innenstädte so umgebaut, als sei der Nationalsozialismus niemals gewesen?

Es obliegt uns nicht, darauf eine Antwort zu haben. Aber es liegt an uns, wachsam zu sein. Kritik zu üben an den Stellen, an denen der Wunsch nach, wie es heißt, „schönen und traditionellen Städten, die für Besucher*innen attraktiv sind“, mit dem Wunsch zusammengeht, sich nicht länger mit Faschismus in Geschichte und Gegenwart auseinanderzusetzen. Es gilt auch weiterhin Kritik zu üben, wo der Kapitalismus dem Vergessen den Weg bahnt.

Es ist an uns, wie Adorno schreibt, unser Denken und Handeln so auszurichten, dass Auschwitz nie wieder geschehe. Und das bedeutet nicht zuletzt, dass auch unsere Städte so gebaut sein müssen, dass sich die Erinnerung an die Shoah darin wiederfindet.

Diese Erinnerung dürfen wir nicht als versöhnlich, nicht als zu überwinden begreifen, sondern als unversöhnlich und den Nachfahr*innen der Täter*innen zur Mahnung.