Am vergangen Freitag, den 23.10.2020 wurde unser Stadtrundgang und Workshop zum Thema öffentliche Räume von mehreren Beamt:innen der Polizei Sachsen begleitet. Ziel unserer Veranstaltung war es die Nutzung und Gestaltung öffentlicher Räume kritisch zu diskutieren und herauszuarbeiten, inwiefern diese durch ihre Gestaltung und Überwachung zur gesellschaftlichen Polarisierung beitragen können. Fälschlicherweise nahm die Polizei an, bei der Veranstaltung handle es sich um eine Spontankundgebung. Obwohl wir dieses Missverständnis sofort aufklärten, beobachtete die Polizei unseren Input, die Erkundungsgänge in Kleingruppen sowie die Abschlussdiskussion. Alle Teilnehmer:innenempfanden die Beobachtung durch die Polizei als einschränkend und die Qualität der Veranstaltung litt durch mangelnde Konzentration. Trotzdem kam es dank des umsichtigen Verhaltens aller Teilnehmer:innen zu keiner weiteren Eskalation. Die Veranstaltung war im Vorfeld klar als Teil der KRETA, und damit als Bildungsveranstaltung, beworben worden und somit waren wir auf dieses Vorgehen der Polizei Sachsen nicht im Geringsten vorbereitet. Wir finden die mangelnde Trennschärfe seitens der Polizei nach wie vor äußerst seltsam und können uns noch immer nicht erklären, wie diese falsche Einschätzung der Polizei entstand.
Das Verhalten der Polizei machte den Inhalt des Workshops praktisch erfahrbar. Es zeigte, wie öffentliche Räume in kapitalistischen Gesellschaften kontrolliert und zu konsumfreundlichen Orten gemacht werden. Offensichtlich wurde der genauere Kontext der Veranstaltung durch die Polizei nicht recherchiert. Das Verhalten der Polizei spiegelt die aktuell herrschende Funktion von öffentlichen Räumen als Konsumorte wieder. Öffentliche Räume sind Orte für finanz- und einkommensstarke Akteure geworden. Außerdem werden öffentliche Orte zunehmend so geplant und gestaltet, dass Shopping, Gastronomie etc. deren primäre Funktion sind. Beispielsweise werden Bänke so gestaltet, dass schlafen dort nicht möglich ist, Rückzugsorte zum urinieren oder sicheren Drogenkonsum fehlen. Diese Veränderung wird durch die voranschreitende Überwachung und Kontrolle dieser Orte begleitet. Dies durchzusetzen ist auch Aufgabe der öffentlichen Gewalt wie der Polizei oder den Ordnungsämtern und wird zunehmend auch von privaten Akteur:innen z.B. mit Hilfe von Videokameras oder privaten Wachdiensten exekutiert. Auch politische Kundgebungen etc. werden im Kontext konsumfreundlicher Atmosphären als widerständige Praxis gelesen. Nach Möglichkeit werden solche Veranstaltungen durch die Staatsapparate kontrolliert und eingehegt. Aus Sicht der Polizei, die unseren Stadtrundgang als eine politische Kundgebung wahrnahm, stellte unser Workshop somit eine Bedrohung dieser „konsumfreundlichen“ Gestaltung der Innenstadt dar.
Die Beobachtung zeigt die Notwendigkeit und auch die Prekarität kritischer Forschung und Lehre an und außerhalb von Universitäten. Die Reaktion auf die Veranstaltung macht einmal mehr deutlich, dass kritische Bildungsangebote im öffentlichen Raum zu selten stattfinden, als dass diese durch die Polizei richtig eingeschätzt werden könnten. (Gesellschafts-)Kritische Bildung, die Auseinandersetzung mit Fragen sozialer Gerechtigkeit, Ausschlussmechanismen etc. sind jedoch zentrale Aspekte um die Herausforderungen zunehmender gesellschaftlicher Polarisierung zu verstehen und in Frage zu stellen. Die Auseinandersetzung mit diesen Themen ist im universitären Kontext durch die Freiheit von Lehre und Forschung garantiert – etwas, dass auch für diese KRETA-Veranstaltung gilt. Die Bestrebungen der Polizei solche Veranstaltungen zu unterbinden, stellt somit nicht nur einen Versuch dar, kritische Bildung zu marginalisieren, sondern kann in diesem Kontext auch als Einschränkung der Freiheit universitärer Forschung und Bildung interpretiert werden.
Für uns zeigt diese Erfahrung wieder einmal eindringlich die Bedeutung solcher kritischen Bildungsangebote und macht gleichzeitig eine neue Herausforderung politischer Bildungsarbeit deutlich: Es ist leider notwendig sich auf solche polizeilichen Eingriffe auch in Zukunft bei politischen Bildungsrundgängen vorzubereiten und „Missverständnisse“ mitzudenken.
Wir möchten uns nochmals bei allen Teilnehmer:innen des Stadtrundgangs und für die erfahrene Solidarität in den vergangenen Tagen bedanken. Uns ist klar, dass unser Rundgang, durchgeführt von weißen Akademiker:innen noch vergleichsweise leicht mit dieser Polizeipräsenz umgehen konnte. Für andere politischen Gruppen und Menschen wäre der Polizeieinsatz womöglich mit härteren Repressionen verbunden gewesen.
Alles in allem macht die uns widerfahrene Polizeipraxis erneut deutlich, es ist wichtig für ein Recht auf Stadt für alle einzutreten, denn es ist noch lange nicht Realität.